Zigeunersauce

Zigeunersauce

Die Zigeunersauce entstand, als sich die moderne Küche entwickelte. Im Verlauf des 17. bis 18. Jahrhunderts vollzog sich der Wandel in der Esskultur, fremde Gemüsesorten aus Übersee fanden obligatorischen Einzug in neue Rezeptkreationen. Die Erstversion der Zigeunersauce beinhaltete auf der Basis von gedünsteten Zwiebeln Tomaten und Paprika, zur Verfeinerung wurde die Gemüsesauce mit Weißwein abgelöscht und mit Weißweinessig pikant abgeschmeckt. Als in jener Zeit der Kulturegerling, der Champignon, von der französischen Gourmetküche als Speisepilz entdeckt worden ist, kam als exquisite Geschmackszutat der Kochsud des Champignons hinzu. Auf diese Weise war die Zigeunersauce in ihrer Grundform entstanden.


Vor etwa 100 Jahren griff die deutsche Lebensmittelindustrie auf diese Rezeptur zurück und brachte sie als Fertigprodukt unter dem charismatischen Namen Zigeunersauce auf den Markt. Mit der steigenden Beliebtheit der Gartenfeste entwickelte sich die Zigeunersauce zur aromatischen Ergänzung für Kurzgebratenes wie Grillfleisch und Wurstwaren. Neuerdings findet die Zigeunersauce zu ihren Gourmetwurzeln zurück und wird kombiniert mit zartem Kalbfleisch, Edelgeflügel oder Wild. Vegetarier genießen die Sauce mit fleischersetzenden Soja- oder Lupinenprodukten.

Zigeunersauce darf nicht mehr Zigeunersauce heißen?

Der Begriff Zigeunersauce/Zigeunersoße ist angeblich inzwischen politisch inkorrekt. Denn kürzlich hat eine Hannoveraner Interessengemeinschaft der Sinti und Roma die deutschen Soßenhersteller aufgefordert, die als Zigeunersauce vertriebenen Fertigprodukte umzubenennen, damit endlich die ethnischen Diskriminierung der betreffenden Bevölkerungsgruppe in deutschen Küchen und auf deutschen Tellern ein Ende findet.

Vorbild für diese geplante linguistische Säuberung der Zigeunersoße sind die leckeren Süßigkeiten und Backwaren namens „Negerkuss“ und „Mohrenkopf“ (zu rassistisch) sowie „Granatsplitter“ (zu militaristisch), die schon längst nicht mehr so genannt werden dürfen und unverfänglichere Bezeichnungen erhalten haben. Doch wie soll die leckere Zigeunersoße jetzt heißen? Vielleicht Sinti-und-Roma-Soße. Wüssten die deutschen Gourmets damit überhaupt etwas anzufangen? Die vorgeschlagene Bezeichnung klingt nicht besonders überzeugend und würde damit dezent das eigentliche Ziel verfehlen. Das ebenfalls bekannte Zigeunerschnitzel heißt an jeder Autobahn-Raststätte inzwischen Balkan-Schnitzel. Doch bekäme der platte, panierte Fleischkeks auch für seine Soße einen gleich lautenden Namen, würde der Konsument schnell an eine Verschwörung osteuropäischer Lebensmittel-Mafiosi denken.

Wie schmeckt eine linguistisch korrekte Zigeunersauce?

Bestenfalls schmeckt sie genauso wie vorher. Doch wird die Zigeunersoße dann noch gekauft oder hergestellt? Pikante Fleischsoße würde zwar unverfänglich klingen, bringt aber den Geschmack einer echten Zigeunersoße nicht auf den Punkt. Denn eine kulinarisch perfekte Zigeunersoße ist von dunkler, leicht rötlicher Farbe, lässt die Zutaten großstückig erkennen und schmeckt feurig-würzig. Übrigens heißt die Zigeunersoße schon seit über hundert Jahren so und ist als solche fest im kulinarischen Sprachgebrauch verwurzelt. Sauce Zingara lautet die korrekte Übersetzung der schmackhaften Zigeunersoße, die jedes urdeutsche Steak in einen südosteuropäischen Leckerbissen verwandelt. Auf dem Essgeschirr klappt es demnach mit der multikulturellen Vereinigung hervorragend. Wir sollten es vielleicht dabei belassen.

Was ist eigentlich drin in der Zigeunersauce?

Mit Sicherheit nicht das, wonach es klingt. Bei der klassischen Zigeunersoße handelt es sich um eine Champignon-Tomatensauce, die mit Weißwein, Bratenfond, Kochschinken und Kalbszunge verfeinert wird. Bei Fertigprodukten aus dem Handel wird im Zuge der Preisersparnis und im Sinne eines größtmöglichen Profits auf einen Großteil der ursprünglichen Zutaten verzichtet, sodass die verkauften Billig-Soßen den Namen Zigeunersauce ohnehin nicht mehr verdienen. Wer eine echte Zigeunersoße der klassischen Küche genießen möchte, fragt am besten einen Zigeuner – oh pardon, einen Sinti oder Roma – nach dem Rezept. Das inzwischen vielerorts sesshafte, ehemals fahrende Volk kennt sich mit Zigeunersoße bestens aus. Regional gibt es Unterschiede, die jedoch minimal sind und sich hauptsächlich auf die Mengenangaben der Zutaten beschränken. Normalerweise gehören noch gehobelte Trüffel in die Zigeunersauce. Damit ist die angebliche Arme-Leute-Soße als Gourmetsauce entlarvt! Sinti und Roma sollten stolz auf ihr Nationalgericht sein – auch wenn sie die Zigeunersoße gar nicht selbst erfunden haben. Erfunden wurde sie angeblich von einem ungarischen und einem französischen Koch – unabhängig voneinander, aber nahezu zeitgleich. Vorausgesetzt, diese Behauptung ist nicht „getürkt“…